Für das „andere“ Deutschland – Widerstand gegen Hitler 1930–1945

Schon als Jugendlicher ist Willy Brandt ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus. 1933 leistet er sofort Widerstand gegen die totalitäre Diktatur, die Hitler und die NSDAP errichten. Vom Nazi-Regime verfolgt, findet Brandt Zuflucht in Norwegen und später in Schweden. Im Exil gehört der demokratische Sozialist, der viele internationale Kontakte knüpft, zu den herausragenden Vertretern des „anderen“ Deutschland. Von Skandinavien aus kämpft Brandt politisch für die Befreiung Europas von der NS-Gewaltherrschaft, die erst 1945 mit der totalen Niederlage Deutschlands endet.

Kampf gegen die NSDAP in der Weimarer Republik

Früh stellt sich Herbert Frahm, wie Willy Brandt in seiner Kindheit und Jugend noch heißt, der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (NSDAP) von Adolf Hitler entgegen. In Zeitungsbeiträgen und in Versammlungen der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ), der Nachwuchsorganisation der SPD, prangert der Lübecker Jungpolitiker schon 1930 die Hetze und den Terror der NS-Bewegung an.

Um der immer größer werdenden Bedrohung von rechts Einhalt zu gebieten, fordert er von der SPD eine kämpferische sozialistische Politik statt schwächlichen Abwartens. Doch ein Kurswechsel bleibt aus, so dass Frahm die Partei im Oktober 1931 tief enttäuscht verlässt. Der 17-Jährige wechselt zur neugegründeten Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) und übernimmt in Lübeck die Führung der örtlichen Parteijugend. Als linkssozialistische Abspaltung der Sozialdemokratie strebt die SAPD eine revolutionäre Einheitsfront von Sozialdemokraten und Kommunisten im Kampf gegen den Nationalsozialismus an. Sie bleibt aber eine Splitterpartei.

Verfolgung und Widerstand nach Hitlers Machtantritt

Als Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wird und eine Diktatur in Deutschland zu errichten beginnt, leisten Herbert Frahm und seine Freunde in der Lübecker SAPD-Gruppe sofort Widerstand. Mit ihren Aktionen gehen sie ein hohes Risiko ein. Ihnen droht willkürliche Festnahme und brutale Misshandlung durch Nazi-Trupps, die auch vor Mord und Totschlag nicht zurückschrecken.

Aufgrund der Verfolgung beschließt die SAPD Mitte März 1933 auf einem Parteitag in Dresden, in den Untergrund zu gehen und zugleich Auslandsstützpunkte zu errichten. An dem „illegalen“ Treffen nimmt auch Herbert Frahm teil, der auf der Reise dorthin erstmals den Tarnnamen Willy Brandt verwendet. Zwei Wochen später erhält der 19-Jährige den Auftrag, für die Partei einen Stützpunkt in Norwegen aufzubauen.

Aktivitäten im norwegischen Exil

Nach seiner Ankunft in Oslo Anfang April 1933 setzt Willy Brandt den Widerstand gegen das NS-Regime fort. Unterstützt wird er dabei von der Norwegischen Arbeiterpartei DNA, einer Schwesterpartei der SAPD. In der norwegischen Arbeiterpresse veröffentlicht der junge Deutsche sehr rasch erste Beiträge in norwegischer Sprache, in denen er sich den Ursachen für den Sieg des Nationalsozialismus widmet. Auch in Vorträgen versucht Brandt die norwegische Öffentlichkeit über die schlimme Lage in seinem Heimatland aufzuklären. Er glaubt nicht an ein schnelles Ende des Nazi-Regimes und warnt: „Hitler bedeutet Krieg!“

Gemeinsam mit seiner Jugendliebe Gertrud Meyer und weiteren deutschen Flüchtlingen baut Willy Brandt in Oslo eine kleine SAPD-Gruppe auf. Die Freunde erstellen Material für die Untergrundarbeit und schmuggeln es ins „Dritte Reich“ ein. Die Exilgruppe in Norwegen setzt sich auch für politische Verfolgte in Deutschland ein. 1935/36 ist Brandt maßgeblich an einer Kampagne beteiligt, die zur Verleihung des Friedensnobelpreises an den inhaftierten deutschen Publizisten Carl von Ossietzky führt.

Unterwegs in Europa

Zu seiner antifaschistischen Widerstandsarbeit gehören für Willy Brandt auch viele Reisen durch Europa. Schweden, Dänemark, Frankreich, die Niederlande, Belgien, Deutschland, Spanien, Großbritannien, Polen und die Tschechoslowakei sind die Länder, in denen er sich zwischen 1933 und 1939 zeitweise aufhält. Meist stehen internationale Treffen und Konferenzen linkssozialistischer Organisationen auf seinem Programm. Am häufigsten fährt Brandt nach Paris, um an Beratungen mit der Auslandszentrale der SAPD teilzunehmen. Deren Leiter ist sein väterlicher Freund Jacob Walcher, mit dem er auch in engem Briefkontakt steht.

Die gefährlichste Mission führt Willy Brandt im Herbst 1936 nach Deutschland. Im Auftrag seiner Partei und getarnt als norwegischer Student Gunnar Gaasland, lebt er drei Monate in Berlin und nimmt dort Kontakt zu den wenigen, im Verborgenen tätigen SAPD-Mitgliedern auf. Im Frühjahr 1937 schickt die Parteiführung den 23-Jährigen zudem als politischen Beobachter nach Barcelona. Im Spanischen Bürgerkrieg steht Brandt auf der Seite der Republikaner, die sich den faschistischen Truppen entgegenstellen. Er besucht die Front, nimmt an den Kampfhandlungen aber nicht aktiv teil.

Ausbürgerung und Scheitern der Volksfront

Erst nach fünf Jahren stellen die Behörden in Deutschland fest, dass Herbert Frahm und Willy Brandt dieselbe Person sind. Wegen seines Widerstands gegen das NS-Regime wird ihm im September 1938 die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Gleichwohl bleibt der junge Linkssozialist im Visier der Gestapo.

Grundsätzlich befürwortet er die Bildung einer antifaschistischen Volksfront, die alle linken Parteien sowie fortschrittliche bürgerliche Kräfte zusammenfassen soll. Doch dieser Traum platzt endgültig, als der sowjetische Diktator Josef Stalin im August 1939 mit Hitler paktiert. Während die Moskau-treuen Kommunisten den Pakt gutheißen, verurteilt Willy Brandt die Sowjetunion scharf. Er wirft Stalin Verrat an der Arbeiterbewegung vor.

Widerstand im Krieg und Pläne für den Frieden

Während des Zweiten Weltkriegs unterstützt der Deutsch-Norweger die Anti-Hitler-Koalition, die Großbritannien, die Sowjetunion und die USA 1941 gegen das „Dritte Reich“ eingehen. Seit seiner Flucht ins neutrale Schweden 1940 unterhält Brandt vielfältige Kontakte zu Vertretern der drei Alliierten. Als Publizist widmet er sich in Stockholm vor allem der Frage einer Friedensordnung für die Zeit nach dem militärischen Sieg über Hitler.

Gemeinsam mit deutschen und internationalen demokratischen Sozialisten entwirft Willy Brandt Nachkriegsprogramme für Deutschland, Europa und die Welt. Nachdem die SAPD mit Kriegsbeginn als Partei faktisch aufgehört hat zu existieren, tritt er 1944 wieder der SPD bei. Allerdings spricht er sich noch immer für ein Zusammengehen von Sozialdemokraten und Kommunisten und die Bildung einer Einheitspartei der Arbeiterbewegung aus.

Entsetzt über die millionenfachen Verbrechen des Nationalsozialismus, wünscht Brandt die baldige und totale Niederlage des „Dritten Reichs“. Dennoch betont er im Exil auch immer wieder, dass nicht alle Deutschen Nazis seien und es keine Kollektivschuld gebe. Seine Hoffnung, die Deutschen würden das NS-Regime durch eine Revolution selbst zu Fall bringen, erfüllt sich jedoch nicht.

Auch der Umsturzversuch der Widerstandsgruppe „Kreisauer Kreis“, mit der Brandt seit 1943 in loser Verbindung steht, scheitert am 20. Juli 1944. Erst die vollständige Besetzung Deutschlands durch amerikanische, britische und sowjetische Truppen und die „bedingungslose Kapitulation“ der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 beenden die Nazi-Tyrannei in Europa.


Literaturhinweise:

Willy Brandt – Berliner Ausgabe, Bd. 1: Hitler ist nicht Deutschland. Jugend in Lübeck – Exil in Norwegen 1928–1940, bearb. von Einhart Lorenz, Bonn 2002.

Willy Brandt – Berliner Ausgabe, Bd. 2: Hitler ist nicht Deutschland. Zwei Vaterländer. Deutsch-Norweger im schwedischen Exil – Rückkehr nach Deutschland 1940-1947, bearb. von Einhart Lorenz, Bonn 2000.

Willy Brandt: Links und frei. Mein Weg 1930–1950, Hamburg 1982 (Neuauflage 2012).

Willy Brandt: Verbrecher und andere Deutsche. Ein Bericht aus Deutschland 1946, bearb. von Einhart Lorenz, Bonn 2007 (Bd. 1 der Willy-Brandt-Dokumente).

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